ARZTHAFTUNG · rechtsanwalt reiner schock


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Leitfaden Arzthaftungsrecht

  1. Grundlagen des Arzthaftungsrechts
  2. Arzthaftungsrecht behandelt Pflichtverletzungen. Zwei Hauptanknüpfungspunkte ergeben sich in der Praxis an häufigsten: Kunstfehler und Mängel bei der Aufklärung des Patienten. Bei den Kunstfehlern wiederum treten nach meiner Erfahrung am häufigsten Diagnosefehler und Behandlungsfehler auf. Nach Systematik der Rechtspflichten und wegen zum Teil unterschiedlicher Rechtsfolgen werden zwei Anspruchsgrundlagen herangezogen. Die Haftung des Arztes oder Krankenhausträgers auf Schadensersatz kann aus Vertrag (§§ 630a ff., 280 Absatz 1 BGB) und aus Delikt (§ 823 Absatz 1 BGB) resultieren.

    1. Deliktshaftung - Verbot der Körperverletzung
    2. "Aus Delikt" heißt, dass "Jedermannspflichten", wie das für jeden geltende Verbot von Körperverletzungen, auch für den Arzt gelten. Ein ärztlicher Eingriff ist Körperverletzung. Dieser ist im Normalfall nur durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt. Während noch vor überschaubarer Zeit das Arzt-Patienten-Verhältnis eher paternalistisch anmutete ("Der Arzt ordnet eine Behandlung an."), überwiegt heute nach der gewachsenen Rechtsprechung und letztlich mit dem Patientenrechtegesetz 2013 die Selbstbestimmung des Patienten ("Der Patient bestimmt die Behandlung").

      Der Anspruch auf Schadensersatz wegen Körperverletzung gegen den ausführenden Arzt ergibt sich aus § 823 Absatz 1 BGB. Dieser lautet:

      Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

      Der Krankenhausträger haftet entweder aus § 831 Absatz 1 BGB für sein Personal, wenn dieses über die Einwilligung des Patienten hinausgehende Körperverletzungen - meist in Form von Kunstfehlern - herbeiführt. Oder er haftet für einen Organisationsmangel ebenfalls aus § 823 Absatz 1 BGB.

      Rechtsfolgen der Deliktshaftung sind Schadensersatz und - als dessen Sonderform für immaterielle Schäden - Schmerzensgeld.

    3. Vertragshaftung - Der Arztvertrag
    4. Der Behandlungsvertrag (§ 630a BGB) wird entweder förmlich (schriftlich) oder durch schlüssiges Verhalten geschlossen. Während ein Krankenhausvertrag meist schriftlich fixiert wird, ist es bei der Behandlung in der Arztpraxis die Regel, dass der Patient einfach hinein geht und ohne Formalitäten die Behandlung annimmt. Der Sorgfaltsmaßstab für den Arzt ist jedoch in beiden Fällen der gleiche. In diesem Vertrag werden die verschiedenen speziellen gegenseitigen Verpflichtungen der Parteien entweder konkret vereinbart, zum Beispiel die konkrete Operation im Krankenhaus. Die Verletzung einer so vereinbarten Pflicht führt zum Schadensersatzanspruch. An der Ausformung dieser Pflichten orientiert sich der Sorgfaltsmaßstab für den Arzt.

      Was gilt aber bei Notfallpatienten, die vielleicht bewußtlos sind? Oder was ist gar mit Selbstmördern, die sich gar nicht helfen lassen wollen? Die Rechtsprechung geht bei Notfällen von einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten aus. Während aber im sonstigen Zivilrecht bei einer "Geschäftsführung ohne Auftrag", wie sie in den §§ 677 fortfolgende BGB normiert ist, bei Abwehr einer Notlage der Helfende nur einen erleichterten Sorgfaltsmaßstab unterfällt - nach § 680 BGB haftet der Helfer in der Not nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit - wendet die Rechtsprechung beim nothelfenden Arzt den selben Sorgfaltsmaßstab an, wie beim normalen Vertragsschluß. Der Notarzt darf also nicht "schlampiger" arbeiten, weil er "nur" als Notarzt auftritt.

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      Wann darf der Arzt die Behandlung ablehnen?

      Grundsätzlich besteht auch im Verhältnis Arzt - Patient Vertragsfreiheit und damit kein Kontrahierungszwang. Abgesehen von Notfällen, wo sich der Arzt möglicherweise wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen könnte, darf der Arzt grundsätzlich ablehnen. Bei den Ärzten, die am kassenärztlichen Versorgunssystem teilnehmen, gilt dies eingeschränkt. Nach § 13 Absatz (7) des Bundesmantelvertrages Ärzte zwischen der kannenärztlichen Bundesvereinigung und den Verbänden der Krankenkassen gilt: "Der Vertragsarzt darf die Behandlung eines Versicherten nur in begründeten Fällen ablehnen."

      Bei der Frage, ob ein Kunstfehler oder eine sonstige schädliche Pflichtverletzung vorliegt, fragt man:

      • Was war geschuldet?
      • Hat der Arzt die allgemein übliche Sorgfalt und seine speziellen Kenntnisse und Fertigkeiten hinreichend angewandt?

      Die Rechtsfolge der Vertragshaftung war bis zur Schuldrechtsreform (01.01.2002) nur materieller Schadensersatz, nicht Schmerzensgeld. Nunmehr steht die Vorschrift über Schmerzensgeld systematisch an einem neuen Platz im Gesetz, nämlich im allgemeinen Teil des Schuldrechts als § 253 BGB. Deshalb gibt es bei einer Körperverletzung, die nicht nur eine Bagatelle ist - auch durch den Arzt - Schmerzensgeld.

  3. Aufklärung
  4. Da jeder Eingriff in den menschlichen Körper eine an sich unerlaubte Körperverletzung darstellt, ist stets eine wirksame Einwilligung des Patienten erforderlich. Probleme bereitet manchmal die Einwilligung Minderjähriger, weil beide Eltern einem Eingriff zustimmen müssen (mehr). Die Rechtsprechung geht davon aus, dass nur wirksam einwilligen kann, wer hinreichend über den Eingriff aufgeklärt ist. Nachdem die Rechtsprechung zunehmend strenge Maßstäbe an die Aufklärungspflicht angelegt hat, werden von den Krankenhäusern routinemäßig formularmäßige Aufklärungsbögen eingesetzt, die den Patienten in die Lage versetzen sollen, die Notwendigkeit des Eingriffs hinreichend beurteilen zu können. Es müssen - wenn möglich - Behandlungsalternativen aufgezeigt werden. (mehr).

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    Allerdings muß nicht der Arzt, der operiert, auch zwingend das Aufklärungsgespräch durchführen. In der Praxis wird dies delegiert. Vorsicht ist jedoch in einer Hinsicht geboten: Der operierende Arzt muß, will er sich nicht selbst dem Vorwurf der nicht hinreichend eingewilligten Körperverletzung aussetzen, den Fragebogen selbst darauf kontrollieren, ob er unterschrieben ist und ob in anzukreuzenden Feldern alle Kreuze richtig und ohne Widersprüche gesetzt wurden. Kreuzt zum Beispiel der Patient von zwei Kästchen "[ ] Ich willige ein. [ ] Ich willige nicht ein." keines von beiden an, obgleich er unten unterschrieben hat, so macht sich der Operateur unter Umständen schuldig, der mit operieren beginnt, ohne dem vorher nachgegangen zu sein.

  5. Dokumentation
  6. Nach § 630f BGB, wie schon vor Inkrafttreten dieser Vorschrift nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof, ist die Dokumentation die unverzichtbare Grundlage für die Sicherheit des Patienten in der Behandlung. Sie ist Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag ganz allgemein und steht seit dem Patientenrechtegesetz 2013 im § 630f BGB). Sie ergibt sich aber auch spezialgesetzlich aus den jeweiligen Berufsordnungen der Ärzte der örtlichen Ärztekammern. In der Berufsordnung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt heißt es:

    § 10
    Dokumentationspflicht

    (1) Der Arzt hat über die in Ausübung seines Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Diese sind nicht nur Gedächtnisstützen für den Arzt, sie dienen auch dem Interesse des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.

    (2) Der Arzt hat dem Patienten auf dessen Verlangen grundsätzlich in die ihn betreffenden Krankenunterlagen Einsicht zu gewähren; ausgenommen können nach Abwägung im Einzelfall diejenigen Teile sein, welche subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen des Arztes enthalten. Auf Verlangen sind dem Patienten Kopien der Unterlagen gegen Erstattung der Kosten herauszugeben.

    (3) Ärztliche Aufzeichnungen sind für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften eine längere Aufbewahrungspflicht besteht.

    (4) Nach Aufgabe der Praxis hat der Arzt seine ärztlichen Aufzeichnungen und Untersuchungsbefunde gemäß Absatz 3 aufzubewahren oder dafür Sorge zu tragen, dass sie in gehörige Obhut gegeben werden. Der Arzt, dem bei einer Praxisaufgabe oder Praxisübergabe ärztliche Aufzeichnungen über Patienten in Obhut gegeben werden, muss diese Aufzeichnungen unter Verschluss halten und darf sie nur mit Einwilligung des Patienten einsehen oder weitergeben.

    Zwar läßt sich allein aus einer lückenhaften Dokumentation noch keine Haftung des Arztes ableiten, doch schließt man in der Regel darauf, dass Vorgänge, die nicht dokumentiert sind, auch unterblieben sind. Im Prozeß ergab sich schon vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes 2013 aus einer Dokumentationslücke die Vermutung, dass an dieser Stelle auch nichts unternommen wurde und der Arzt muß beweisen, dass er trotz fehlender Dokumentation die richtigen Schritte getan hat - dies dürfte sehr schwer fallen, wenn der sich geschädigt fühlende Patient das Gegenteil behauptet!

    Seit 2013 steht es auch im Gesetz. § 630h BGB, Absatz 3:

    Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen § 630f Absatz 1 oder Absatz 2 nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder hat er die Patientenakte entgegen § 630f Absatz 3 nicht aufbewahrt, wird vermutet, dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat.
    Der Arzt kann sich also mit einer sorgfältigen Dokumentation sehr wesentlich entlasten, wenn ihm vorgeworfen wird, etwas übersehen zu haben.

  7. Schweigepflicht
  8. Das Thema "Schweigepflicht" hat hauptsächlich strafrechtliche Relevanz. ...

    § 203 Strafgesetzbuch lautet auszugsweise:

    Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als ... Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, ... anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

    Aus dem Wortlaut ist zu folgern: Die Schweigepflicht bezieht sich nicht nur auf Kenntnisse zu Krankheiten des Patienten, sondern schlicht auf alles. So ist es beispielsweise strafbar, wenn der Arzt eine gewerbliche Abrechnungsfirma für die Einziehung seiner Honorare in Anspruch nimmt, ohne dass der Patient zugestimmt hat. Ein ähnliches Problem stellt die Weitergabe der Patientenkartei dar. So ist es üblich, dass eine Arztpraxis - bspw. aus Altersgründen - an einen Kollegen verkauft wird. Der Nachfolger darf die Patientendaten nur einsehen, wenn der Patient zugestimmt hat.

  9. Beweisfragen
  10. Grundsätzlich hat derjenige die Pflicht, Beweise zu erbringen, der für sich günstige Rechte herleiten will. So muß der gegen den Arzt klagende Patient zunächst darlegen und beweisen, dass dem Arzt ein Fehler unterlaufen ist. Allerdings muß er dafür keine wissenschaftliche Herleitung erbringen, es reicht für den Unkundigen im Arzthaftungsprozeß, wenn er die äußeren Umstände eines Fehlverhaltens so gut er kann darlegt und ein Sachverständigengutachten beantragt. Da dies teuer ist, gewähren die Gerichte auch relativ großzügig Prozeßkostenhilfe, damit dem Kläger nicht der Nachweis von vorn herein abgeschnitten wird.

    Ein ganz zentrales Problem im Arzthaftungsrecht ist die sogenannte "Beweislast". Vielfach stellen Juristen die Frage, wer die "Beweislast" hat. Grundsätzlich gilt als Definition für den Begriff "Beweislast": Läßt sich eine behauptete Tatsache nicht aufklären, hat die daraus resultierenden Nachteile derjenige zu tragen, der die Beweislast hat. Warum? Dahinter steckt die Ambition der möglichst gerechten Risikoverteilung im Zivilprozeß. Man muß sich fragen, wer einen Gerichtsprozeß verlieren soll, wenn sich der zu Grunde liegende Sachverhalt nicht hinreichend aufklären läßt. Es gibt im Gesetz keine allgemeingültigenen Vorschriften über die Beweislast.

    Läßt sich aber nicht aufklären, ob ein Fehler des Arztes kausal zu einem Schaden geführt hat (wie häufig, weil man nicht in dem Maße in den Menschen "hineinsehen" kann, wie in eine Sache), verliert derjenige, dem die Beweislast obliegt. Hier geben Gesetz und Rechtsprechung aber Erleichterungen für den Patienten her. Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, kehrt sich die Beweislast um, und der Arzt verliert, wenn er nicht beweisen kann, dass sein Fehler keinen Schaden verursacht hat. Bei einem nur leichten (einfachen) Kunstfehler trägt weiterhin der Patient das Risiko der Unaufklärbarkeit.

  11. Verfahrensverlauf
  12. Wie soll der Patient vorgehen, der den Verdacht eines ärztlichen Fehlverhaltens hegt?

    Zunächst - um es vorweg zu nehmen - dürfte es kaum jemals zweckmäßig sein, sofort eine Strafanzeige zu erstatten. Der Geschädigte hat hiervon keinen Vorteil. Weiterhin wird es häufig vorkommen, dass die Staatsanwaltschaft kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung sieht und das Verfahren einstellt bzw. den Anzeigerstatter auf den "Privatklageweg" verweist, d. h. er soll selbst eine Anklageschrift beim Strafrichter einreichen.

    Folgende Schrittfolge empfiehlt sich: